Compassion: Eintauchen in den „Lernort Leben“

Das zweiwöchige Sozialpraktikum „Compassion“ hat sich als eine wichtige Lebenserfahrung der Schülerinnen und Schüler an der Heimschule St. Landolin fest im Curriculum des allgemeinbildenden und der beruflichen Gymnasien etabliert. Das anspruchsvolle Projekt, bei dem wir als Schule mit zahlreichen sozialen Einrichtungen der Region kooperieren, erweckt auch das Interesse der Öffentlichkeit. Jüngst veröffentlichten die „Badische Zeitung“, die „Lahrer Zeitung“ und der „Ettenheimer Stadtanzeiger“ eine Reportage von Klaus Schade, die Sie dankenswerterweise auch hier lesen können.


Den Lernort Schule mit dem „Lernort Leben“ getauscht

Heimschüler gewannen beim „Compassion“-Praktikum neue Einblicke in die Gesellschaft

Ettenheim. Dieser Donnerstag, wie schon einige Tage zuvor, sieht für Steven, Peter und Leon, die drei Zehntklässler des Gymnasiums an der Heimschule St. Landolin, ganz anders aus als übliche Schultage. Sie sammeln überschüssige Lebensmittel bei Discountern, bei Edeka-Märkten, Bäckern, Metzgern oder Bauern, sie bereiten sie ansprechend auf, verpacken sie, um sie dann zu äußerst erschwinglichen Preisen an bedürftige, finanzschwache Menschen weiterzugeben. Die drei absolvieren wie rund hundert andere Alters- und Schulkameraden derzeit ein zweiwöchiges Sozialpraktikum, tauschen den „Lernort Schule“ mit dem „Lernort Leben“, wie es Matthias Küchle, hauptverantwortliche Lehrkraft für dieses Sozialpraktikum seit nunmehr bereits 22 Jahren auf einen kurzen Nenner bringt. Der selbst gewählte Einsatzort der drei Freunde: die Herbolzheimer Tafel im Konrad-Adenauer-Ring in Herbolzheim.

compassion_komprimiert_0.jpgSteven, Leon und Peter sehen „absoluten Sinn in dieser Arbeit“, wie sie übereinstimmend bezeugen. Sie sind beeindruckt, wie viele Menschen – Rentner, Alleinerziehende von Großfamilien, Flüchtlinge, Geringverdiener – auf die segensreiche Arbeit des eingetragenen Vereins angewiesen sind. Auf rund tausend Menschen vom südlichen Kaiserstuhl bis Ettenheim beziffert Lilli Ruddies die Zahl der Kartenbesitzer, die sich bei Sozialamt und Tafel diese Hilfe zum Lebensunterhalt haben einräumen lassen. Die drei Heimschüler sind „beeindruckt“ sowohl von den sozialen Nöten, aber auch vom „super-netten Team der Helfer“ um die Ladenleiterin, allesamt Ehrenamtliche. „Gelebte Compassion“, kommentiert Matthias Küchle die Beobachtungen und Erfahrungen seiner drei Zöglinge, die von der „Chefin“ ausdrücklich für ihr Engagement gelobt werden.

Mitfühlen, das zum Handeln treibt

„Compassion“  im Sinne von „Mitfühlen, das zum Handeln treibt“ – so nämlich nennt sich dieses zweiwöchige Sozialpraktikum,  das aus einer Initiative der Deutschen Bischofskonferenz entsprang, für das sich die Gesamtlehrerkonferenz der Heimschule 1995 aussprach und das nun Jahr für Jahr die Zehntklässler des Allgemeinbildenden Gymnasiums, die Elftklässler des Wirtschaftsgymnasiums und des Sozialpädagogischen Gymnasiums absolvieren. Bewusst will die christlich geprägte Schule damit den Blick der Heranwachsenden auf die Situation von alten und kranken Menschen, von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit einer Behinderung, von Migranten und Ausländern, von Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, lenken: „Was ihr für den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“

Die Lebenssituation der genannten Menschen kennen lernen – darüber hinaus aber auch sich selbst besser kennen zu lernen, das ist eine weitere Zielsetzung dieser „tätigen Nächstenliebe“, wie Matthias Küchle anführt.

Sich selbst neu kennen lernen

Szenenwechsel: Montagmorgen, erster Schultag nach dem Praktikum, am gewohnten „Lernort“, der Heimschule. Die Schülerinnen und Schüler sitzen im Kreis, reflektieren, was sie in den zurückliegenden zwei Praktikumswochen erlebt und gelernt haben. Situationen gelernt, sich selbst zusätzlich kennen gelernt. Claudio war in Ettenheimmünster in St. Landolin, der Pflegeeinrichtung für psychisch Kranke, teilweise mit Suchthintergrund. „Ich fand krass, was Drogen mit Menschen anrichten können“, so Claudio, für den es nach seinen Worten gleichermaßen hilfreich war, „derlei Schattenseiten zu sehen, aber auch zu erleben, wie sich Menschen Gedanken machen, wie man den Betroffenen helfen kann.“

Auch Zoes Rückblick auf ihr Praktikum in der Georg-Wimmer-Schule ist mit Licht- und Schatteneffekten verbunden. Sie erinnert sich an die Ohnmacht, als ein geistig behinderter Junge seinen Mal-Auftrag nur noch schreiend kommentierte, Lehrkraft und sie hilflos waren, sie auch das aushalten musste. Und andererseits dann die stille Umarmung eines autistischen Schülers, als sie sich vom Praktikum verabschiedete.

Daniel schildert seinen Mitschülern sein Beeindruckt-Sein, als im Seniorenzentrum, wo er diese 14 Tage sein Praktikum absolvierte, eine Mitbewohnerin starb: wie da ein Tisch im Flur mit Bild, Text, Kommentaren der Mitbewohner den Abschied „richtig würdig gestaltete“.

Erschütterndes wie Beglückendes

Ann-Katrin hat derweil an der Vianova-Schule in Freiburg viel tieferen Einblick in das Leben von Menschen mit Migrationshintergrund bekommen. „Richtig erschüttert“ war sie wie die andern Betreuer, als ein Jugendlicher, der alles daran setzte, die Schule zu schaffen, sich für eine Arbeit zu qualifizieren, plötzlich eine Abschiebungsankündigung erhielt. Unvergessen wird ihr aber auch die „tolle Erfahrung“ bleiben, wie sich da Menschen für die Migranten einsetzen, wofür „diese richtig dankbar waren.“

Die allermeisten im Stuhlkreis machen mit ihren Worten deutlich, dass für sie diese 14 Tage teilweise neue, wichtige Blickwinkel in ihrer bis dahin heilen Welt eröffnet haben. Johanna, die im nahen Kindergarten „Wirbelwind“ ihr Praktikum absolvierte, gibt „dem Praktikum glatt die Note 1,0“.  Jannik und Elias indes machen keinen Hehl daraus, dass für sie das Praktikum „nicht wirklich Gewinn bringend“ war. „Es war für mich schon vorher klar, dass ich beruflich niemals in diese Richtung gehen werde“, so Jannik. Das aber ist auch nicht primäres Ziel des „Compassion“-Praktikums, stellt Matthias Küchle klar. „Es können ja schlussendlich nicht alle Heimschulabsolventen in Sozialberufen tätig werden.“ Vielleicht haben diese 14 Tage jenen, die im Augenblick das Praktikum für sich nicht uneingeschränkt sinnvoll einstufen, ja doch mehr Erkenntnisse gebracht, als ihnen momentan bewusst ist.